Literaturverlag „CH. SCHROER“ zieht Konsequenz aus Leiharbeiter-Skandal bei Amazon
In der ARD-Reportage „Ausgeliefert!“ deckten Diana Löbel und Peter Onneken auf, welche Arbeitsbedingungen bei Amazon.de herrschen. Der Bericht über spanische Leiharbeiter bei Amazon.de schockte ganz Deutschland und löste sprichwörtlich eine Lawine des Entsetzen aus. Erste Verlage ziehen Ihre Konsequenzen und beenden die Zusammenarbeit mit Amazon.de. Dabei stellt sich heraus, dass es nicht nur den spanischen Leiharbeitern an den Kragen geht, sondern auch die Verlage ausgenutzt werden.
Christopher Schroer vom „CH. SCHROER Literaturverlag“ war der Erste, der seine Konsequenzen zog und die Zusammenarbeit mit Amazon.de beendete. Aus diesem Grund freue ich mich ganz besonders auf dieses exklusive Interview und bin gespannt auf die Antworten von Christopher Schroer.
Herr Schroer, bitte stellen Sie sich und Ihren Verlag kurz vor, damit meine Leser wissen, mit wem sie es zu tun haben.
Gerne: Christopher Schroer, Jahrgang 1977, gelernter Mediengestalter und Seiteneinsteiger im Verlagswesen. 2009 habe ich den Kunstbuchverlag „DIE NEUE SACHLICHKEIT“ gegründet, 2012 den Literaturverlag „CH. SCHROER“.
Wie viele Jahre haben Sie mit Amazon.de zusammengearbeitet und was waren die Beweggründe für die Zusammenarbeit?
Als Jung-Verleger ist man erst einmal stolz wie Oskar, dass man seine Bücher bei Amazon verkaufen darf. Und das weltweit. So auch bei mir. Ich war von Anfang an bei Amazon gelistet.
Welche Erfahrungen im positiven sowie im negativen Sinne konnten Sie während der Zusammenarbeit sammeln?
Natürlich gibt es auch Positives in der Zusammenarbeit, das will ich gar nicht abstreiten. Da wären beispielsweise die weltweite Vernetzung, die einfachen Zugangsvoraussetzungen zu nennen. Erst im Nachhinein, nach nun gut drei Jahren, erkennt man auch das Negative: Remissionen (also Rücksendungen), die beschädigt hier eintreffen, obwohl einwandfrei zu Amazon geliefert; ein sehr hoher Porti-, Verwaltungs- und Kommunikationsaufwand; keine Ansprechpartner, die man direkt erreichen kann; die überzogenen Rabattforderungen; Lagergebühren werden immer fällig, egal ob das Buch tatsächlich lagert oder nur durchlaufender Posten ist etc. Es gibt so viele Punkte, die alle hier aufzuführen, würde den Rahmen sprengen.
In Summe überwiegt nach einer wirtschaftlichen Betrachtung das Negative. Es rechnet sich für uns nicht, bei Amazon direkt vertreten zu sein.
In Ihrem offenen Kündigungsbrief an Amazon sprechen Sie von überzogenen Rabatt-forderungen und luftigen Buchungstricks. Was genau wurde von Ihrem Verlag gefordert?
Amazon erwartet bis zu einem Jahresnettoeinkaufsvolumen von 75.000 € – was für kleinere Verlage horrend hoch ist – einen Rabatt von 50% zzgl. 5% Lagerhaltung, zzgl. einer Jahresgebühr von 49,90 €, zzgl. versandkostenfreier Lieferung, zzgl. 2% Skonto.
Auch der Zwischenbuchhandel erhält von uns 50%. Der grundlegende Unterschied zu Amazon ist aber: Der Zwischenbuchhandel kauft und zahlt die Bücher, remittieren darf der nur in einem vertraglich vereinbarten Rahmen. Amazon hingegen bekommt Kommissionsware und zahlt erst nach Verkauf am Endkunden.
Die von mir aufgeführten „luftigen Buchungstricks“ beziehen sich auf den Europa-Hauptsitz Amazons in Luxemburg. Wie das Handelsblatt schreibt, was aber länger bekannt ist und sich auch auf andere US-Unternehmen erstreckt, „zahle Amazon durch das Steuerschlupfloch nur weniger als die Hälfte der Steuern, die in seinen eigentlichen Märkten fällig würden.“ Frankreich will beispielsweise 250 Mio. US$ Steuernachforderungen und Strafen für den Luxemburg-Trick.
Was hat das Fass zum überlaufen gebracht und Sie dazu bewogen, die Zusammenarbeit mit Amazon.de zu beenden?
Es gibt mehrere Vorfälle, natürlich auch welche, die mich nicht direkt betreffen. So lese ich regelmäßig den Blog meiner amerikanischen Kollegen von „Melville House“. Diese tragen weltweit die Geschehnisse um Amazon zusammen. Die Thematiken um Steuern, Leiharbeiter, Arbeitsbedingungen, Konditionen sind weltweit gleich gelagert. Dazu summieren sich noch die vorher aufgeführten Punkte, die mich direkt betreffen.
Der Entschluss Amazon „Adieu!“ zu sagen stand schon im Dezember 2012 nach einer Auseinandersetzung wegen falsch abgezogenen Skontos statt. Das hat von Februar bis Dezember – geschlagene elf Monate gedauert – bis dies korrigiert wurde. Aber man schiebt Entscheidungen ja gerne vor sich her.
Aber dann der Bericht von Frau Löbl und Herrn Onneken: Da war ich richtig schockiert, wie kann so etwas in Deutschland vorkommen? Und ich habe mir gedacht: „Jetzt reicht‘s!“ und habe dann einfach die Kündigung geschrieben und öffentlich gemacht.
Welche Konsequenzen ergeben sich durch diese Kündigung für Ihren Verlag?
Die erste Konsequenz ist, dass wir auf bis zu 5% unseres Umsatzes verzichten. Die zweite ist, dass Leser unsere Bücher zwar über den Marketplace, dessen Bedingungen ja vom Bundeskartellamt untersucht werden, beziehen können, aber nicht mehr direkt und schnell – wie der Leser es gewohnt ist – über Amazon beliefert werden. Welche Konsequenzen sich aber langfristig ergeben, wird erst die Zeit zeigen.
Was wünschen Sie sich für Ihren Verlag und für die Bedingungen bei Amazon.de für die Zukunft?
Ich hoffe sehr, dass sich die Bedingungen bei Amazon verbessern – auch im Sinne der Leiharbeiter. Aber ich fürchte, das ist ein sehr naiver Wunsch. Wenn ich mir, wie gesagt, die weltweite Berichterstattung anschaue, muss ich zu dem Schluss kommen, dass die Problematiken keine Problematiken, sondern Methode und Geschäftsmodell sind.
Ich bedanke mich sehr für dieses wirklich interessante Interview, wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg und lasse Ihnen nun den Raum für ein paar abschließende Worte:
Danke auch Ihnen, Herr Schluhmeier. Ja, ein Schlusssatz: Nichts ist alternativlos – auch Amazon nicht.
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